Die SPD stimmt über den Koalitionsvertrag ab. Wirklich? 
Logo vor winkender Angela Merkel

Ganz Deutschland fiebert mit und hat irgendwie auch eine Meinung dazu und schaut doch irgendwie machtlos zu. Angefeuert von BILD und JuSos erleben wir eine stärkere Debatte über das Für und Wider einer großen Koalition als es zu irgendeinem Zeitpunkt im Bundestagswahlkampf der Fall war. Das klingt erstmal großartig für die Demokratie. Alle Parteimitglieder dürfen mit entscheiden, ob die Inhalte des Vertrags, den das Verhandlungsteam gemeinsam mit CDU und CSU erstellt haben, sozialdemokratisch genug sind, um darauf vier Jahre Regierungsarbeit auszubauen. Ja, genau, das ist es, worüber abgestimmt wird. Nicht über die Anzahl und Funktionen von Ministerien, nicht über die Personen, die sie besetzen sollen – und schon gar nicht über die Parteispitze. Zur Wahl steht einzig und allein der Koalitionsvertrag. Zumindest theoretisch. Denn die Art und Weise, wie über fast alles, was mit diesem Vertrag einhergeht in der SPD kontrovers, öffentlich und in viele Fällen so weit unterhalb der Gürtellinie diskutiert wird, dass es einem die Schuhe auszieht, zeigt, dass es um weit mehr geht, als die Inhalte für vier Jahre politischer Arbeit.

Es geht ums Prinzip!

Auf den ersten Blick sieht es aus, als sei die Partei in zwei Lager gespalten. Auf der einen die jungen Wilden um Kevin K. mit ihrem scharfen, ja bedingungslosen Anti-GroKo-Kurs, der überall für Aufsehen sorgt. Und auf der anderen Seite Andrea N., die machthungrige, zielstrebige Frau, die es als erste in ihrer Partei ganz nach oben schaffen will. Um sie versammelt der gesamte Parteivorstand, der nicht so recht erkennen mag, dass ihre Wahl zur Vorsitzenden zwar historisch wäre – aber eben keine Erneuerung. Denn sowohl personell als auch inhaltlich verkörpert kaum jemand die SPD der letzten Jahre so sehr wie Andrea N. – übrigens schon gar nicht Martin S. aus W., den die Planungs-, Posten- und Possenspielerei der letzten Wochen und Monate bereits sein Amt, seinen Ruf und seine politische Karriere gekostet haben. Paradox! Da wird jemand mit 100% zum Vorsitzenden gewählt, der zwar lange im Vorstand, aber auch ohne große Erscheinung auf Bundesebene war und nicht einmal ein Jahr später wird er im Zuge der Erneuerung vom Hof gejagt – und übrig bleiben alle diejenigen, die auch vorher schon da waren. Sigmar G., erst Wirtschafts- und dann Außenminister, also Teil der „abgewählten“ (Martin S. aus W.) Regierung. Ebenso Manuela S., die das Schiff kurz vor dem Untergang in Richtung Küste verließ. Dazu kommen mit Thomas O. ein neuer Vizepräsident des Parlaments – der in den letzten Jahren Fraktionsvorsitzender war – und Olaf S. aus H. als designiertem Minister (was er übrigens auch schon einmal war, bevor er eine der inzwischen weltweit bekanntesten Partys von Regierungschefs in einer Metropole an der Elbe veranstaltete) zwei ganz alte neue Gesichter. Und dann eben Andrea N., ebenfalls zuvor Ministerin, nach der Wahl Fraktions- und nun also geplante Parteivorsitzende. Ja, das ist immer noch dieselbe Frau. Nur in einem neuen Hosenanzug.

Der Koalitionsvertrag muss also nicht nur sozialdemokratische Inhalte haben, sondern vor allem auch neue, andere und so deutliche Themen besetzen, dass die Handschrift der neuen SPD, wie ihre Mitglieder sie sich vorstellen, aus der kommenden Großen Koalition nicht nur herauszulesen, sondern nicht mehr wegzudenken ist. Denn das Personal dürfte wohl kaum für diese viel zitierte „Erneuerung“ stehen. Eins ist klar: Auch mit 20% bleibt für die SPD eine enorme politische Verantwortung als zweitstärkste Kraft im deutschen Parlament. Offen ist nur, wie man diese Verantwortung definiert. Eine schnelle, stabile Regierungsbildung, um Deutschland für die nahe Zukunft aufzustellen? Eine innerparteiliche Erneuerung, die der SPD kurzfristig Instabilität, aber langfristig sicher ein anderes als das jetzige Profil geben würde – und damit eine neue Rolle in der politischen Landschaft? Oder eben doch die starke Opposition, mit erfahrenem Personal, das vier Jahre Zeit hat, sich inhaltlich klar zu positionieren? Denn eins ist klar – die Entscheidung für oder gegen Neuwahlen liegt mitnichten in der Hand der SPD.

Auftritt Angela M.

Stärkste Kraft der letzten Bundestagswahl wurde bekanntermaßen die CDU, womit ihr die Aufgabe zufällt, eine Regierung zu bilden. Auch abgesehen von Jamaika und GroKo bietet unsere Verfassung dafür Möglichkeiten. Das scheint auch unsere Bundeskanzlerin zu wissen – auch wenn sie es nicht laut sagt. Aber wie sonst ließe sich erklären, dass sie, noch bevor sie eine Zusage von irgendeinem potenziellen Koalitionspartner hat, einfach schon mal ihr neues Personal für die nächste Bundesregierung vorstellt. Moment mal! Neues Personal? Vier von sechs Personen, die Angela M. jetzt auf Ministerien verteilt, waren vorher nicht Teil der Bundesregierung. Noch dazu kommt eine neue Generalsekretärin, die auch bisher nicht im Bundestag saß. Gut, es ist bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit Merkel nicht nur die Anzahl der Ministerien der CDU in der neuen Regierung schon festlegt, sondern sogar, welche es werden. Natürlich, werden jetzt alle sagen, das ist ja mit der SPD so abgesprochen. Kann schon sein, weiß ich nicht. Und selbst wenn – noch steht ja gar nicht fest, ob das denn überhaupt jemand unterschreiben wird. Man stelle sich einfach einmal vor, CDU und CSU gehen am Ende nun doch in eine Minderheitsregierung mit FDP, Grünen oder was sonst noch so Zeit und Lust hat – und stellen sechs Ministerien! Wohl kaum. Aber was dann? Alles wieder neu mischen? Munteres Postenschieben? Und was wäre erst bei Neuwahlen? Ich möchte mir nicht vorstellen, was passiert, wenn jemand Jens Spahn erklärt, dass er nun doch nicht Gesundheitsminister werden darf…

Aber auch so ist dieses neue Personal, das nun vorgestellt wurde, alles andere als eine Verjüngungskur – wenn man mal vom Alter der Personen absieht. Beispiel gefällig? Julia Klöckner ist für ihre konservative, zum Teil politisch höchst inkorrekte, um nicht zu sagen minderheitenfeindliche Einstellung bekannt. So sehr, dass die SPD in Rheinland-Pfalz einen uneinholbaren Vorsprung der CDU eben doch noch einholte. Zur Strafe wird sie also jetzt Ministerin. So macht man das in der CDU. Noch ein Beispiel: Jens Spahn. Mit besten Verbindungen zur Pharma-Lobby hervorragend geeignet als Gesundheitsminister. Nicht. Aber nun ja, wollen wir mal nicht so sein. Schlimmer wäre, wenn auch er bereits offen gegen fortschreitende Globalisierung, interkulturellen Austausch und Minderheiten Stellung bezogen hätte. Ach, hat er? Schade!

Erneuerung am Arsch!

Was Angela M. uns da vor die Nase stellt, kann eigentlich nur als eine Botschaft gedeutet werden: Die Aufforderung an die SPD-Mitglieder, bitte bitte bitte doch gegen den Koalitionsvertrag zu stimmen. Denn völlig egal, was da drin steht – ein Aufbruch in ein zukunftsgerichtetes, interkulturelles und fortschrittliches Deutschland hat nicht diese Gesichter. Aus Sicht der CDU ist das natürlich völlig legitim. Sie steht für eine konservative Politik, die Traditionen wahrt und nur mit Bedacht in die Moderne schreitet. Lieber erstmal alles so lassen, wie es ist, ändern kann man es ja immer noch. Was ein Großteil der Bevölkerung davon hält, alles so zu lassen, wie es ist, zeigt das Ergebnis der letzten Bundestagswahl in einer Farbe, um die gerade sogar vor Gericht gestritten wird. (Ich bin mir nicht sicher, darf man überhaupt den Namen noch schreiben? Blau. So, jetzt trau ich mich mal was.) Was die CDU da anbietet, ist ein Stück weit Verjüngung und Rückkehr zu den Wurzeln. Insofern kann man vor dem politischen und strategischen Geschick unserer Bundeskanzlerin zum wiederholten Male nur den Hut ziehen. Das kann wirklich keine so wie sie. Doch so vielfältig, wichtig und legitim die ursprünglichen Werte der CDU auch immer sein mögen – sie sind nicht sozialdemokratisch.

Insofern entscheiden die Mitglieder der SPD nun eben doch nicht nur über diesen Koalitionsvertrag, der durchaus sehr sozialdemokratisch daherkommt. Sie entscheiden darüber, ob sie nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch in der ganzen Bundesrepublik eine Erneuerung zulässt, ja, sogar herbei führt, oder doch aus Angst, vor dem, was diese bringt, eine historische Gelegenheit verstreichen lässt. Beides wäre verständlich. Nicht immer ist Veränderung gut und manchmal muss man einen Schritt zurück machen um im Anschluss zwei nach vorn zu schaffen. Beides hat also durchaus sein Für und Wider und niemand gehört in meinen Augen dafür verachtet, beschimpft oder automatisch auf eine der beiden vermeintlichen Seiten der Partei gestellt. Denn es gibt eben mehr als nur einfach zwei Seiten. Denn beide Stimmen, die für JA und die für NEIN, können ganz unterschiedlich begründet sein. Einzig, für eine wirkliche Erneuerung ist eben nur eine davon.

Share on facebook
Facebook
Share on twitter
Twitter
Share on linkedin
LinkedIn
Share on xing
XING
Share on pinterest
Pinterest
Share on whatsapp
WhatsApp
Share on email
Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on xing
Share on pinterest
Share on whatsapp
Share on email

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Auch spannend:

Beitragsbild: fantareis/pixabay.com / Manuel Fuß