Ein Gastbeitrag von Maximilian Deeds. Nicht immer brauche ich meine eigenen Worte um meine Meinung zu sagen. Deshalb bat ich ihn darum, mir seine zu leihen.
Ich habe auf vieles keinen Bock.
Auf Werbeslogans von Technikherstellern, Mäntelchen für Hunde im Winter, Unibelegphasen, Wartezeiten, Rundfunkbeitragsservice, die Bundeshaushaltsjahresbilanz und Markus Lanz, die Rechten, die Linken, das Vergehen des Seins, Zweifel, den Moment nach dem Sonnenuntergang (wie Zuckerbrot und Peitsche; eben noch wohlig, warm und optisch ansprechend, dann ist man mit der Dunkelheit allein), Sonne-Wolken-Mix, Stop-and-Go, nichts Halbes und nichts Ganzes, Regen auf Sonnenschein, Mathe auf Doppelstunde Sport und und und. Aber das hier wird kein Slam Text, das wird eine Bitte.
Als ich neulich die Lokalzeitung aufschlug, prangte mir entgegen: „Schwuler Lehrer führte Affäre mit Schüler“.
Was ist hier gerade passiert? Ist nicht einschlägig, dass er mit Schutzbefohlenen rumgemacht hat? Ja, klar, ist doch gut zu wissen, dass er nicht heterosexuell ist, nicht wahr? Ein Sonderfall dadurch wahrlich nicht, aber besonders irgendwie schon. Ich nenne es die Homophobiedämmerung. Denn niemand hat mehr wirklich Angst vor Homos, also eine Phobie.
Dafür haben wir viel zu viel gehört, verstanden. Und heutzutage sind das ja auch ganz normale Menschen… . Dafür erkläre ich die Ära der Homomanie feierlich für eröffnet. Viele von uns leiden an Homomanie. Auch Homos selbst. Wir hypen, nehmen homo- und transsexuelles Leben genau auseinander, um uns zu empören, uns daran zu bereichern, was uns gefällt, aber vor allem, um es zu ordnen und darüber verfügen zu können. Dafür nehmen wir es ganz genau unter die Lupe und mischen uns gern ein. Man muss also nicht ignorieren, um ignorant zu sein. Der Zusatz „ist schwul“, „ist lesbisch“, „ist genderqueer“ und habt ihr schon von den 60 sexuellen Identitäten und Präferenzen gehört, aus denen man bei Facebook wählen kann? Diskriminieren? Das machen wir doch nicht. Das tun die richtigen Nazis. Die brauchen Open-Air-Festivals gegen Homophobie. Wir organisieren die.
Das wäre töricht. Wir machen etwas anderes. Viel hinterlistiger, nicht so mit regulären Instrumenten messbar.
„Der total sympathische, offene, kosmopolitische Schwule aus der Schule von Guido Maria Kretschmer, der neuen Moralinstanz Deutschlands“
Ich habe keinen Bock, süß zu sein. Und wenn, dann will ich das als Mensch sein. Ich will speziell sein können, mich mit meiner Sexualität und Geschlechteridentität reflektieren und in Relation zu anderen beschreiben können aber muss denn immer gelabelt werden? Dass man das nicht macht, muss ich euch auch nicht erzählen. Ich schreibe hier, um über die Haltung zu Homos 2.0 zu sprechen. Dass nicht gelabelt wird, ist klar. Aber deklariert werden soll schon, was drin steckt, was? Ich komme diesem Kategorisierungsfetischismus gerne entgegen. Wie wäre es mit „mein bester Freund“ statt „mein schwuler bester Freund“?
Und wo wir schon dabei sind, erkläre ich auch die Vorgabe für abgelöst, dass LGBTIQ*-Menschen über sich selbst lachen können sollten. So über den Dingen stehen, wenn andere nicht einmal auf ihr eigenes, kleines Ding klar kommen. Re-Ownen soll man dann. Sich Beschimpfungen einfach einverleiben, spiegeln, selbst wiedergeben und so entkräften. Nennt mir einen Grund, wieso ein Schwuler einen anderen „Schwuchtel“ nennen dürfen sollte. Es bleibt bei zwei Menschen und einer Beleidigung.
Der erste Vorwurf, der von meinen Eltern kam, als Schulkamerad*innen mich zum ersten Mal argwöhnisch für schwul hielten, war Rufmord. Ich habe keinen Bock auf die sexuelle Orientierung als eine Negativeigenschaft. Ständig wird klar, dass es ein Makel ist, der zwar okay ist, aber irgendwie ausgeglichen werden muss. Man soll damit arbeiten können.
Also ein Schwuler sollte dann schon gut drauf sein. Lesbisch und dann auch noch garstig und dumm? No-Go hoch²! Als schwuler Mann sollte man dann zu mindest viel spitzzüngigen Humor mitbringen und shoppinglustig sein. Soll er vielleicht für uns tanzen? Ich habe keinen Bock, mich zurück zu nehmen, nur, weil ich kann. Einer Frau legt man auch nicht nahe, ein Mann zu werden, wenn sie nicht mehr objektifizert werden will. Hoffentlich nicht.
Also ist zu sein, wie man ist, weder in der Bahn, noch am Arbeitsplatz, in der Familie oder in Kirchengebäuden eine Provokation! Nur wenige schmeißen ihre Söhne, Töchter und alle dazwischen noch raus für ein Coming-Out. Stattdessen lässt man sie schmoren. Wir suggerieren ihnen, dass sie ein Misserfolg sind oder zu mindest einen nachrangigen Lebensentwurf führen. Und das in einem Alter, in dem Jugendliche mit Pubertät und Game of Thrones alle Köpfe voll zu tun haben.
Ich habe keinen Bock mehr auf Jungs, die Mitte 20 sind und romantisch verkorkst nachdem sie das in ihrer Entwicklung durchmachen mussten. Nachdem Schule, Uni, Arbeit, Familie ein Raum der Furcht und Selbstbegrenzung waren und sind. Meint ihr, mir macht es Spaß, verbaute Weltbilder bei potenziellen Liebhabern zurecht zu rücken, sie zu lehren, sich selbst erst einmal mögen und akzeptieren zu können, nachdem viel Arbeit geleistet wurde, ihnen das Gegenteil glaubhaft zu machen? Wenn man ganz tief in jemanden reinhört, lässt das nicht einmal die gestandenste Persönlichkeit kalt. Meint ihr, es macht Lesben Spaß, bis zur Menopause ihre Partnerinnen erst durch ein halbjähriges Outing zu schleifen, ehe man sich lieben lernen darf? Ehe man überhaupt erst zum Geschehen, zu sich, übergehen kann?
Wenn es dann überhaupt noch dazu kommt. Oft ist dann schon zu viel passiert, zu viel Last auf dem noch jungen Keim der Liebe gewesen, das Pflänzchen hatte keine Chance. Nein, es gibt nicht nur Homopaare gegen den Rest der Welt. Die Stigmatisierung macht auch intern viel kaputt. Ich habe keinen Bock mehr auf das Branding der Schwulen als Sissies und der Lesben als Turbinen vom Bau, das den Leuten, die sich nicht mit solchen Klischees identifizieren, den Mut nimmt, zu sich zu stehen und das Bild der queeren Community zu ergänzen um Proletenmänner, Schminktussen oder wen auch immer.
Stattdessen bleibt es weit weg und es bleibt im öffentlichen Bild bei Klischee- Homos, die im übrigen herzlich willkommen, aber lange nicht die einzigen sind. Ich habe keinen Bock mehr auf Schläge. Niemand wendet physische Gewalt an (außer er*sie ist sturzbesoffen) ohne ein persönliches Motiv. Klar, wenn man jahrelang den Paradekerl mimen muss, kommt es einem ziemlich unerhört vor, wenn jemand sich scheinbar ohne Mühe etwas anderes herausnimmt. Viele Jungs unter uns würden gern mal wieder von ‚Freunden‘ statt ‚Kollegen‘ sprechen, oder? Ist es dann eigentlich auch Selbstschutz, dass Deutschland noch immer meine Blutspende ablehnt? Schützen wir damit das Land vor homosexueller Infiltration?
Ich habe keinen Bock auf positive Diskriminierung nach dem Motto „Sieh nur, wie süß sie zusammen schwul sind!“. Eigentlich habe ich auch keinen Bock auf political correctness. Aber das ist eine Bitte. Ich habe auch keinen einzigen Bock auf Toleranz. Denn tolerieren, also ertragen, kann ich, wenn mir jemand ins Gesicht quarzt, wenn er*sie neben mir raucht und es mockt, aber nicht, was andere im Schlafzimmer tun. Was ändert sich unter’m Strich für eine Mutter, wenn am Kaffeetisch neben ihrem Töchterchen eine Frau sitzt? Muss sie eine andere Kuchenglasur wählen? Da sitzt eine Person, die ihr Kind glücklich macht. Sie kann sich mit ihr austauschen, wie mit einem Schwiegersohn. Beim Liebesspiel ist sie nicht dabei, braucht sich anatomisch auf nichts weiter ein- oder umzustellen. Enkelkinder nicht ausgeschlossen. Wenn man sie lässt.
Nachdem ich also absolut keine Böcke mehr habe, habe ich nur noch einen Wunsch: Schenkt uns Kinder, die lieben können weil sie dürfen, sonst stirbt ihre Sexualität nicht aus, sondern sie verroht. Und das Rezept dafür ist, dass wir das Kleingedruckte nicht übersehen, das hinter der bösen, bösen Homophobie steht, die wir lääängst überwunden haben… .
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