Es ist Pride Month. Im Juni setzen weltweit Menschen, Organisationen und auch Unternehmen Zeichen gegen Homophobie und für Gleichberechtigung, Anerkennung, Menschenrechte. So auch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der UEFA EURO 2020. Kapitän Manuel Neuer trägt anstelle der vorgesehenen Armbinde eine in Regenbogenfarben. Das erkennt die UEFA als „good cause“ und erlaubt es ausdrücklich.
Nun wollte die Stadt München ein weiteres Zeichen setzen. Aus Protest gegen ein in dieser Woche in Ungarn verabschiedetes Gesetz gegen „Werbung“ für Homosexualität in der Öffentlichkeit sollte die Münchener EM-Arena zum Spiel gegen Ungarn in den Regenbogenfarben erleuchtet werden. Das war sonst im Pride Month, etwa zum CSD München, schon öfter der Fall.
Fraktionsübergreifend hatte sich der Stadtrat für den entsprechenden Antrag an die UEFA ausgesprochen. Allein das ist schon ein nicht zu verachtendes Zeichen. Der Antrag bezieht sich ausdrücklich auf die politische Situation in Ungarn. Und genau das ist der UEFA ein Dorn im Auge. Glaubt man der offiziellen Begründung für die Ablehnung des Antrags, wäre eine Beleuchtung der Arena in Regenbogenfarben ohne den offiziellen, direkten Bezug auf das Gesetz ohne Weiteres möglich gewesen. Nicht zuletzt das Durchwinken der bunten Binde schlägt zumindest auch in diese Kerbe.
Doch der direkte politische Bezug der Stadion-Aktion widerstrebt der UEFA. Die Ausrichter-Organisation der Europameisterschaft definiert sich als „politisch und religiös neutral“. Ein allgemeines Bekenntnis zu Menschenrechten und gegen Diskriminierung und Homophobie ist damit vereinbar, eine konkrete Demonstration gegen ein Gesetz, das diesen Werten eindeutig entgegensteht, offenbar nicht.
"Angesichts des politischen Kontextes dieser speziellen Anfrage – eine Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen Parlaments abzielt – musste die UEFA diese Anfrage ablehnen."
Mit anderen Worten: Wäre nicht das aktuelle Gesetz, sondern der Pride Month die Begründung im Antrag gewesen, hätte die UEFA sicher nichts gegen ein Regenbogenstadion gehabt. Das kann man glauben oder nicht, aber wird man nie herausfinden. Warum eigentlich kommt diese Idee erst jetzt auf, zum dritten Spiel? Wie so oft muss offenbar erst etwas passieren, damit sich Protest und Solidarität regen. Ähnlich, wie Fußballerin Almuth Schult und in der ARD anmerkte, finde ich auch, dass so eine Aktion doch viel eher für und nicht gegen etwas gerichtet sein könnte. „Das muss aus einem selbst heraus kommen.“ sagt Kevin-Prince Boateng(!). Ob hinter dem Antrag ein gewisses politisches Kalkül steckte, da – vor allem mit dieser ausdrücklichen Begründung – damit zu rechnen war, dass die UEFA diesen ablehnt, bleibt der Fantasie überlassen. Schön ist, dass das alles eigentlich nun keine Rolle mehr spielt.
Nicht nur die Stadt München erklärte, jetzt erst recht Zeichen in Regenbogenfarben setzen zu wollen. Immer mehr Städte, Fußballvereine, Medien, Organisationen ziehen nach. Zum Spiel sollen Regenbogenfahnen verteilt werden, die im Stadion als klares Zeichen geschwenkt werden können. In München werden Regenbogenfahnen am Rathaus gehisst und andere Gebäude bunt erleuchtet. Deutschlandweit wollen Fußballvereine Zeichen setzen und ihre Stadien in den Farben des Regenbogens illuminieren oder mit bunten Fahnen schmücken. Noch mehr Logos als ohnehin schon in diesem Monat werden bunt gefärbt. Ein Zeichen der Solidarisierung mit der queeren Community. Nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch in Ungarn. Mehr Aufmerksamkeit hätte die bunte Beleuchtung der Arena auf keinen Fall erregen können.
Ob aus Protest gegen Gesetz, UEFA oder einfach alles, was gegen „uns“ ist: Es ist eine Botschaft einer Größenordnung, die es sonst in keinem Pride Month, zu keinem CSD, niemals gab. Und die in der Bevölkerung auf ein breites, positives Echo, auf Unterstützung, ja, Begeisterung stößt. Eine Welle der Solidarität schwappt über Deutschland. Und geht von Deutschland aus auf Europa über. Aus verschiedenen Ländern kommen solidarische Stimmen, die befürworten, eine Botschaft für Frieden, Freiheit und Liebe zu setzen. Denn, das wird bei aller Homofeindlichkeit schnell vergessen: Die Regenbogenflagge ist auch die Friedensflagge, ein weltweites Symbol für jede Art von Freiheit und Frieden, gegen Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung.
24 Nationalmannschaften nehmen an der EURO 2020 teil. Da diese in gleich zwölf Städten in elf Nationen in ganz Europa ausgetragen wird, hätte eine solche Idee von vielen Stellen ausgehen können. Diese Welle hätte in vielen Ländern ihren Ursprung haben können. Die Spieler mancher Nationen beugen beispielsweise vor dem Anpfiff das Knie. Sie solidarisieren sich mit der Black Lives Matter-Bewegung und wollen ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Dafür ernten sie auch von den eigenen Fans nicht nur Applaus sondern zuweilen sogar Pfiffe. Und das bunte Signal gegen Menschenhass, für die Freiheit und Liebe aller, geht tatsächlich von Deutschland aus.
Da löst eine ganz selbstverständlich, ohne großes Aufhebens getragene, bunte Kapitänsbinde etwas aus, das ich so nicht für möglich gehalten hätte. Ja, Deutschland ist fortschrittlicher bei queeren Themen als andere Länder. Es definiert sich als weltoffenes Land ohne Platz für Diskriminierung, Homophobie und Queer-Feindlichkeit. Und dennoch hatte ich nie das Gefühl: „Das ganze Land steht mit eindeutiger, überwältigender Mehrheit hinter dieser Haltung.“ Genau dieses Gefühl haben die Reaktionen auf das Verbot der Regenbogenbeleuchtung nun ausgelöst. Zum ersten Mal in meinem Leben. Ich habe Tränen in den Augen. Immer wieder, wenn die Welle einen neuen Höhepunkt erreicht. Jetzt, wenn ich diese Zeilen schreibe. Es ist Pride Month. Und ich bin stolz. Auch darauf, Deutscher zu sein. Zum ersten Mal in meinem Leben. Danke, UEFA.
"Do it Munich. Do it. Light it up for the world to see."
Beitragsbild: Patrick Mueller/unsplash.com / QuinceCreative/pixabay.com / Manuel Fuß
Quellen: kicker.de, sportschau.de, tagesschau.de, twitter.com, uefa.com, vinding.de
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