Am Wochenende startete die Fußball-Bundesliga wieder. Das erste Fazit: Mehr Fragen als Antworten und mehr Schein als Sein.
Beitragsbild: König Fußball regiert die Welt; leere Sitze im Fußballstadion

„Fußball ist unser Leben, denn König Fußball regiert die Welt.“ Was schon 1973 galt, gilt heute umso mehr. Und das wahrlich nicht (nur) im positiven Sinne. Am Wochenende startete die Bundesliga wieder – so viel haben auch so ziemlich alle noch so Fußball-Desinteressierten dieses Mal mitbekommen. Selten wurde ein Bundesliga-Start so heiß diskutiert, wie dieses Mal. Der Grund ist auch bekannt: Es startet nicht etwa die neue Spielzeit, sondern es wird die Unterbrechung beendet, die aufgrund der weltweiten Pandemie nötig war. War? Ist sie das nun nicht mehr?

Wenn es erlaubt (und risikolos) ist, mit anderthalb Metern Abstand in einem Geschäft mit über 800 Quadratmetern Ladenfläche Geschäft einzukaufen, sollten ja auch bis zu 300 Personen in einem Fußballstadion kein Problem sein – oder? Schon hierauf gibt es mehrere Antworten. Einige davon konnte man am Wochenende live im Fernsehen verfolgen. Denn trotz aller Einschränkungen und Hygienemaßnahmen für die gesamte Gesellschaft wird seit Samstag in den deutschen Profiligen eben wieder gespielt. Ohne Zuschauer, mit vielen (zum Teil sehr symbolischen) Einschränkungen, aber auf dem Platz eigentlich so, als wäre nichts.

Fußball – die wichtigste (Neben-)Sache der Welt.

Wirklich? Haben wir keine anderen Probleme? Wie viele Gesundheitseinrichtungen haben Schwierigkeiten, genügend geeignete Bedeckungen für Mund und Nase zu bekommen? Zahlreiche Menschen, die täglich in Kontakt mit Personen kommen, die zur Risikogruppe gehören, werden nicht getestet, weil der Aufwand und die Kosten zu hoch sind. Sie und auch alle anderen, die sich noch nicht (nachgewiesenermaßen) angesteckt und auch keine Symptome gezeigt haben müssen mit der Ungewissheit leben.

Auch aus den Mannschaften und deren Umfeld hört man durchaus kritische Stimmen. Fußball ist eben nicht alles im Leben. Klar, man muss an die Angestellten denken, die nicht auf dem Rasen stehen, sondern ganz normale Jobs haben, die womöglich gefährdet sind. Grundsätzlich darf man wirtschaftliche Faktoren nicht völlig außer Acht lassen. Aber während Normalsterbliche bei der Ausübung ihrer Berufe und auch im Alltag erheblich eingeschränkt sind, soll zumindest für die Dauer eines Spiels und innerhalb des Spielfeldes wieder Normalität herrschen?

Familie oder Fußball? Was geht vor?

Diese Frage stand zumindest im Raum, nachdem ein Spieler geäußert hatte, dass eine anonyme Befragung der Spieler womöglich ein anderes Ergebnis gehabt hätte, als überbordende Begeisterung, endlich weiterspielen zu können. Überhaupt steht die Handhabung beim Fußball symptomatisch für die konsequente Inkonsequenz in Sachen Schutzmaßnahmen. Ja, es gibt ein Konzept und ja, das erscheint auch einigermaßen brauchbar. Aber nein, es wird sich eben nicht daran gehalten. So viel ist dem geneigten Fußballfan schon vor und allen anderen spätestens nach dem Spiel, aber eigentlich schon nach einigen Minuten klar.

Als Fußballfan freue ich mich, dass es endlich wieder los geht. Ich habe es genossen, meinen Lieblings-Sport wieder verfolgen zu können. Mitfiebern, freuen, leiden, verzweifeln, jubeln – all das hat mir mehr gefehlt, als ich gedacht hätte. So richtig bewusst wurde mir das auch erst, je älter der Samstag wurde. Einerseits. Andererseits wiederum: Spiele vor leeren Rängen, Quarantäne- und Abstandsregeln, an die sich sowieso nicht alle halten, COVID-19-Tests für alle die zu den Profiteams gehören – als Mensch frage ich mich wirklich, was das soll!

Fußball ist ein Kontaktsport

In einem Fußballspiel hält man eben idealerweise keinen Abstand (insbesondere) zu seinen Gegenspielern ein. Im Gegenteil! Aber aus diesem Grund haben sich Politik und Liga-Leitung ja etwas tolles einfallen lassen. Alle Spieler der ersten und zweiten Bundesliga, alle Trainer, das Betreuungsteam, einfach alle, die dazugehören, werden auf eine Infizierung mit COVID-19 getestet. Außerdem gibt es strenge Quarantäne-Maßnahmen. Gegen die hat dann auch gleich mal ein Trainer verstoßen, noch bevor es überhaupt losging.

Dass das selten dämlich ist, hat er wohl zumindest selbst eingesehen und seine Teilnahme am Spiel abgesagt. Aber auch so passen Kontaktsport und Corona einfach nicht zusammen, Regeln hin oder her. Im Stadion herrscht Maskenpflicht – auch für Spieler und Trainer. Zumindest in den Katakomben, bevor es auf den Platz geht. Schon daran halten sich vor dem Spiel nicht alle, was auch ganz deutlich im TV zu sehen ist. Die Einwechselspieler sitzen nicht auf der Bank wie sonst, sondern mit einem Abstand von zwei Metern auf extra bereitgestellten Stühlen. Und sobald sie sich dann zum Aufwärmen begeben, ist der Sicherheitsabstand wieder völlig egal.

Der Fußball und seine Vorbildfunktion

Viel verheerender als die selbst für einen Laien wie mich schon offensichtlichen Auswirkungen auf das Infektionsrisiko der direkt Beteiligten sind die indirekten Folgen. Jetzt, nach dieser langen Pause, wenn gewöhnliche Fußballfans nicht im Stadion dabei sein dürfen, sitzen umso mehr Menschen vor den Bildschirmen. Und sehen, dass Abstandsregeln nicht gelten oder nicht eingehalten werden – ohne Konsequenzen. Beim Torjubel liegen sich zum Teil mehr als zwei Spieler in den Armen, tätscheln den Kopf oder das Gesicht des Mitspielers und erwecken auch sonst den Eindruck, als habe es Corona nie gegeben.

Das erste, was ich mich da frage ist, was dieser Unsinn mit den zwei Metern Abstand zwischen den Einwechselspielern soll. Also entweder sind die alle getestet und unter Quarantäne und der Körperkontakt auf dem Platz ist unproblematisch – dann ist die Abstandsregel Quatsch. Oder die Abstandsregel ist das einzig sinnvolle an der ganzen Veranstaltung. Denn das zweite, was mir in den Sinn kommt ist: Mit welcher Berechtigung schränken wir uns eigentlich so sehr ein? Ich darf meine Familie, meine Freunde nicht mehr umarmen, zum Teil nicht einmal mehr sehen. Menschen, die sich nach Nähe und Zuneigung sehnen. Aber auf dem Fußballplatz ist das alles dann aber ok?

Was soll der Quatsch?

Ich kann hier gar nicht so viele Dinge schreiben, wie mir an nur einem Fußballwochenende auffallen, die wirklich an Albernheit und Unsinnigkeit kaum zu überbieten sind. Dass man für den kurzen Gang zum Supermarkt um die Ecke die Quarantänemaßnahme mal kurz vergisst, stößt in vielen Bereichen der Gesellschaft grundsätzlich auf Verständnis. Einerseits verstehe ich das, andererseits zeigt es genau, welche Vorbildfunktion der Fußball für die Gesellschaft hat. Ein Trainer, der nicht nur Vorbild für seine eigene Mannschaft ist, sondern eben auch für große Teile der Gesellschaft, lebt vor, wie viele in unserem Land zu den Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen stehen. Mal eben aus Versehen ein paar Leben gefährdet. So schnell kann das gehen.

Im Interview vor dem Spiel spricht ein Sportvorstand in ein mit Plastikfolie verkleidetes Mikrofon und trängt eine Maske – über Hals und Kinn. Seine Begründung: „Sonst ersticke ich hier!“ (allgemeines Gelächter) Warum trägt er die Maske dann überhaupt? Damit alle sehen, dass er eine hat? Davon gehe ich ja wohl mal aus! Damit alle sehen, dass er weiß, dass er sie eigentlich tragen müsste? Nicht mehr als Symbolik. Er sei gestern zum sechsten Mal negativ getesten worden, sagt er auch. Zum sechsten Mal! Der Sportvorstand eines Fußball-Vereins! Der aus dem Homeoffice arbeiten und das Spiel im Fernsehen schauen könnte. Die Tests hätte man sicher sinnvoller einsetzen können. Aber, wie wusste schon einer der größten Fußball-Philosophen aller Zeiten: „Wäre, wäre, Fahrradkette!“

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