Vor einer Woche zerstörte das Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz unzählige Orte, kostete Existenzen, Leben. Mein Heimatort und meine Familie sind betroffen. Vergleichsweise glimpflich, aber deutlich spürbar. Mich traf das Hochwasser nicht direkt, ich bin nicht einmal vor Ort, sondern schaue ohnmächtig aus der Ferne zu und versuche in Worte zu fassen, wie sich das anfühlt.
Beitragsbild: Land unter

Das Leben hat fast immer andere Pläne…

Hochwasser habe ich schon viele erlebt. In Köln und Koblenz, im Rheinland allgemein und natürlich auch in anderen Teilen Deutschlands. Doch nie war ich persönlich so betroffen wie jetzt. Eigentlich wollte ich heute über etwas schreiben, dass mich kurz nach der Veröffentlichung meines letzten Beitrags beschäftigte. Doch die Ereignisse der letzten Woche beschäftigten nicht nur ganz Deutschland sondern auch mich dann doch sehr viel mehr.

Ob es die größte Flutkatastrophe ist, die unser Land je gesehen hat, ist mir eigentlich ziemlich egal. So oder so bin ich betroffen, entsetzt, von den Bildern und Nachrichten die ich sehe. Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, wie vergleichsweise gleichgültig ich den Überschwemmungs-Meldungen in der Vergangenheit gegenüberstand. Denen, die in anderen Teilen des Landes oder der Welt stattfanden und auch denen, die ich ganz nah miterlebt habe. Weil sie eben entweder gefühlt ganz weit weg waren oder einfach nicht besonders bedrohlich wirkten. 

Eine Sitzbank mitten im Rhein? In Köln fast normalität!

Ich bin im Rheinland aufgewachsen und habe fast mein gesamtes Leben hier verbracht. Hier fällt es eher auf, wenn mal mehrere Jahre hintereinander die Uferwege nicht wegen Überflutung gesperrt sind, als umgekehrt. Dass nur noch die Rückenlehnen der Sitzbänke an der Kölner Rheinuferpromenade aus dem Wasser ragen, entlockt mir nicht mehr als ein amüsiertes Schulterzucken. Auch ein feuchter Keller bei Freunden, die in der Nähe des Rheins wohnen, löst nicht unbedingt Überraschung aus. Köln halt.

Vor einigen Jahren war ich zu Besuch in Koblenz und wir unternahmen einen Ausflug zum Deutschen Eck. Weil der Weg dorthin, am Rhein entlang, überschwemmt war, schlugen wir uns kurzerhand in die Büsche, kletterten und kraxelten über Steine und Baumstämme, durch Brennnesseln und Dornen. An einer höher gelegenen Stelle kamen wir zurück auf den Weg. Schon einige hundert Meter später hangelten wir uns dann am Geländer entlang, das eigentlich den Weg vom Fluss trennen sollte, einige Meter weit über eine erneut überschwemmte Strecke. Kein ganz normaler, aber auch kein besonders außergewöhnlicher Tag in einer Stadt am Rhein. Hochwasser halt.

Hochwasser ist gar kein Ausdruck

Das, was ich aus diesen Erfahrungen unter „Hochwasser“ verstand, muss ich in diesen Tagen komplett über den Haufen werfen. Oder, anders gesagt: Hochwasser ist gar kein Ausdruck. Von früheren Hochwasser-Katastrophen habe ich noch die Bilder vor Augen von Strömen, die durch ganze Städte schossen, Häuser einschlossen und die Menschen darin mit ihnen. Nur, damit keine Missverständnisse entstehen: Dass das furchtbar ist, war und ist mir klar. Aber ich hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie sich das anfühlt. Es ist eben immer anders, wenn es um die eigene Heimat, das eigene Zuhause geht…

Mitten in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag sendet meine Mutter Bilder, auf denen zu sehen ist, dass Wasser Straßen durchströmt, in denen ich meine Kindheit verbracht habe. Das ist nicht im geringsten übertrieben ausgedrückt. „Jetzt haben wir auch keinen Strom mehr. Telefon geht dann nicht und die Handys haben nur noch wenig Ladung. Versucht es einfach mal.“, schreibt sie kurz vor 3 Uhr in der Nacht. Als ich das am Morgen lese, weiß ich erstmal gar nicht, wie ich damit umgehen soll. Das trifft mich völlig unvorbereitet. Ich beschließe, mich erstmal in Ruhe für die Arbeit fertig zu machen. Dann kann ich ja mal anrufen.

Mir war nicht klar, was Hochwasser anrichten kann

Ich komme beim ersten Versuch durch. In diesem Moment ist mir nicht klar, wie außergewöhnlich das ist. Es geht soweit allen gut, niemand ist verletzt. Mein Elternhaus ist sogar völlig vom Hochwasser verschont geblieben. Nicht so gut lief es im Haus meiner Großeltern. Mama erzählt von den Ereignissen der Nacht. „Wir mussten uns dann irgendwann entscheiden, ob wir nicht mehr wegkommen oder das Haus aufgeben.“ Klingt für mich immer noch irgendwie übertrieben. Auch sie hat noch keine Ahnung vom Ausmaß der Schäden. Sie fährt nun erst einmal zur Arbeit, später wollen wir mehr Informationen austauschen.

Auch meinen Vater erreiche ich sofort. Schon an seiner ersten Silbe erkenne ich, dass etwas nicht in Ordnung ist. Er erzählt kurz von „30cm Wasser im Erdgeschoss“, ist merklich aufgewühlt und angespannt. „Ich wollte jetzt gerade mal schlafen, habe die ganze Nacht gearbeitet“. Und so endet das Gespräch sehr schnell wieder. Später erst wird mir bewusst, dass er unter Schock gestanden haben muss. Seine Eltern, meine anderen Großeltern, erreiche ich gar nicht. Es gibt keinen Strom und sie nutzen kein Handy. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht und was bei ihnen passiert ist.

Ein taubes Gefühl breitet sich aus

Zum ersten Mal beschleicht mich die Gewissheit, nichts tun zu können. Noch fühlt sich das nicht schlimm an, eher sogar beruhigend. Ich kann ohnehin nichts machen, also mache ich mich an die Arbeit. Am frühen Abend, rufe ich noch einmal bei meiner Mutter an. Aufgrund der Hintergrundgeräusche frage ich sofort: „Seid ihr wieder beschäftigt?“ „Du machst dir keine Vorstellung!“ Sie hat Recht. Ich brauche den gesamten Donnerstag, viele Gespräche und Bilder von anderen Orten, um mir langsam immer bewusster zu werden, was da eigentlich passiert ist.

Drei Häuser, in denen ich große Teile meines Lebens verbracht habe sind überflutet und schwer beschädigt. Zwei davon kenne ich, seitdem ich auf der Welt bin. Meine Großeltern haben diese Häuser selbst gebaut. Sie waren und sind Zuhause für mehr als nur sie, für meine ganze Familie. Auch am Tag darauf erreiche ich meine Großeltern nicht, weiß aber inzwischen, dass sie unverletzt sind. Meine anderen Großeltern sind im Urlaub. Sie haben auch erstmal gar nicht die Möglichkeit, heimzukommen. Das ist wohl gut so. Es kümmern sich viele um das Haus, sie bleiben aus dem ersten Stress raus. 

die zweite welle

Mit dem Bewusstsein wächst auch das Gefühl der Ohnmacht. Der erste Impuls ist, hinzufahren und zu helfen. Doch es kommt auch sofort der Gedanke: Ich komme ja gar nicht hin. Aber wer aus der Familie die Möglichkeit hat, Freunde, Bekannte, die vor Ort sind, kommen hin, packen mit an, räumen aus und auf, bringen Essen. Die Katastrophe hätte es nicht gebraucht, aber sie lässt mich nochmal deutlich erkennen, wie wertvoll es ist, die richtigen Menschen in seinem Leben zu haben.

Auf Facebook lese ich vom Inhaber eines unserer Lieblings-Restaurants, der die betroffenen und arbeitenden Leute in der Innenstadt mit Essen versorgt. Generell merke ich, wie sich Solidarität anfühlt. Auf die Welle der Zerstörung folgt eine Welle des Mitgefühls und der Hilfsbereitschaft. Die Inhaberin meiner liebsten Kaffeebar in Köln startet kurzerhand eine Aktion, um die Getränkeeinnahmen eines ganzen Tages zu spenden. Sie erntet überwältigende Resonanz und sammelt über 1.000 Euro ein.

Überwältigend - das Wort der Woche

Je mehr mir bewusst wird, was da passiert ist, desto weniger weiß ich, wie ich damit umgehen soll. Ich sitze kilometerweit entfernt, der Alltag geht mehr oder weniger seinen gewohnten Gang und ich kann nicht mehr tun als abwarten, zuhören und gut zureden. Und dabei ständig gegen mein schlechtes Gewissen ankämpfen, eben weil ich nicht mehr tun kann als das. Das schwerste an alldem ist, es zu akzeptieren. Sind die Schäden versichert? Weiß niemand so genau, nicht einmal das Personal der Versicherung. Wie hoch ist überhaupt der Schaden in den einzelnen Fällen? Sechsstellig, schätzt mein Vater. Und das beschreibt nur den materiellen Wert.

Noch viel schwieriger ist es, zu beziffern, ja überhaupt einzuschätzen, was diese Ereignisse emotional anrichten. Die Erkenntnis, wie viel anders und intensiver so etwas eben doch ist, wenn man einen persönlichen Bezug dazu hat, trifft mich mit Wucht. Ich bin kilometerweit entfernt, nicht direkt betroffen und schon gar nicht mittendrin. Und mich treffen die Bilder, Gedanken und Worte die mich erreichen, schon sehr. Es ist so viel emotionaler als alles, was ich von früheren Hochwasser-Katastrophen mitbekommen habe. Wie muss das erst sein, wenn man vor Ort ist und das eigene Zuhause so sieht? Erst drei Tage nach der Überschwemmung erreiche ich meine Großeltern. „Wie geht es euch?“ „Nicht gut.“ Im folgenden Gespräch wird klar: Körperlich sind sie unversehrt geblieben. Aber das Hochwasser hat nicht nur sichtbare Spuren hinterlassen.

Erinnerungen trägt man im Herzen...

Eine Woche ist inzwischen vergangen. Noch immer kann ich aus der Ferne nicht wirklich einschätzen, was da passiert ist. Ich sehe Bilder von Aufräumaktionen, Müllbergen im Keller und an der Straße, einer ganzen Straße voller Container. Auf der Brücke, die auf dem Weg von meinem Elternhaus zu dem meiner Großeltern über die Inde führt, haben wir als Kinder immer eine kleine Pause eingelegt und Stöckchen aufgesammelt, die wir von der Brücke in den Fluss warfen, um dann schnell auf die andere Seite hinüberzugehen und erwartungsvoll ins Wasser zu schauen, welches Stöckchen die Strömung als erstes wieder zum Vorschein brachte. Davon bleibt nichts als Erinnerung. 

Park in Eschweiler nach dem Hochwasser

„Erinnerungen trägt man im Herzen, nicht in Gegenständen“ antworte ich Freunden kurz bevor ich das Bild der Brücke sehe. Wie passend. „Hier sieht alles anders aus.“ schreibt Mama. „Die Verbindung wird wohl lange nicht mehr vorhanden sein.“ Wo jetzt Wasser ist, war bis letzte Woche noch ein Weg. Zu erkennen nur noch an der Sitzbank, auf der ein Teddy über den zerstörten Park wacht. Mein Heimatort wird nie wieder so sein, wie ich ihn kenne. Am Wochenende fahre ich hin. Mit so gemischten Gefühlen wie vielleicht noch nie zuvor in meinem Leben.

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Beitragsbild: Petra Fuß-Stoll / Manuel Fuß

Fotos: Petra Fuß-Stoll