Seit 2012 schreibe ich in diesem Blog. Alles begann mit meinem Aufbruch von Köln nach Berlin und den Gefühlen, die ich auf keine andere Weise so teilen, verarbeiten, ja, rauslassen konnte, wie hier. Seitdem ist so vieles geschehen. Inzwischen wohne ich weder in Berlin noch in Köln und dennoch sind für mich, wenn ich ohne großes Nachdenken darüber spreche, diese beiden Städte weitaus mehr Heimat für mich, als die Stadt, in der ich wohne. Aber stimmt das wirklich?
Ja, ein Stück weit ist es absolut zutreffend, dass ich mit Bergisch Gladbach nicht wirklich etwas verbinde. Die Stadtgeschichte ist mir fremd, ich kenne mich außerhalb der wenigen Straßen in denen ich mich alltäglich aufhalte in der Stadt kaum aus und habe auch gar nicht die Ambition, sie besser kennen zu lernen. Und dennoch habe ich seit dem Auszug aus meinem Elternhaus nirgendwo länger gewohnt, als hier. Das muss Gründe haben. Ich erinnere mich sehr genau daran, als ich seit etwa einem Jahr hier wohnte, fühlte ich mich angekommen.
Ich lebe endlich und bereite mich nicht länger nur darauf vor!
Und wenn ja, werde ich ihn jemals finden? Und will ich das überhaupt? Ich fühle mich an vielen Orten wohl. Orte, an denen ich gelebt habe. Und ich sage bewusst „gelebt“. Denn ich kann auch an Orten leben ohne jemals dort zu wohnen – und umgekehrt. Außerdem gibt es in jeder Stadt Orte, mit denen man mehr oder weniger verbindet, als mit anderen. Und wiederum Orte, mit denen man mehr gutes oder schlechtes verbindet. An denen man sich wohlfühlt oder unbehaglich.
Ich hatte und habe Menschen um mich herum, mit denen mich etwas verbindet. Erlebnisse, Gespräche, Unternehmungen. Und alle haben irgendwie eben auch etwas mit meinem Wohnort zu tun. Sei es nur, dass ich von hierher aufgebrochen bin – oder dass sie gar hier stattfanden. Partys, Kaffee- und Dinnertafeln, Filmnächte. Alles in meiner Wohnung, ja, aber eben auch in dieser Stadt. Und alles mit dem Gefühl, Zuhause zu sein.
Stimmt. Und stimmt doch nicht. Ja, ich fühle mich in Sichtweite des Kölner Doms irgendwie immer ein bisschen Zuhause. Und doch ist es für mich eben gerade nicht der Dom der die Magie dieser Stadt ausmacht. Köln hat so viele Ecken, die mir so viel mehr zu bieten haben als diese zweifellos wundervolle, prächtige und völlig zurecht weltberühmte Kirche. Ich gehe durch bestimmte Straßen, hohe Häuser um mich herum, keine Chance den Dom zu sehen und habe Heimatgefühle. Ich schaue auf den Rhein, seine Brücken und seine Ufer, den Dom außerhalb meines Sichtfeldes (ja, das geht) und weiß, hier gehöre ich hin. Und doch ist Köln eben nicht die einzige Stadt, die ein Zuhause für mich ist.
Seit einigen Wochen habe ich es mir angewöhnt, wenn ich einen ganzen Tag nur gearbeitet habe, ohne an der frischen Luft gewesen zu sein, noch einmal das Haus zu verlassen. Und wenn es nur wenig Meter sind, zum benachbarten Wald oder den Hügel herunter ins Zentrum, um ein wenig Stadtgefühl zu bekommen. Manchmal telefoniere ich dabei – stundenlang – mit Menschen, die ich eigentlich gar nicht gut kenne, mit Menschen, die ich kenne, seitdem ich lebe. Mit Menschen, die ich vielleicht nie wieder hören werde. Oder die für immer ein wichtiger Teil meines Lebens bleiben werden. Zu wieder anderen Gelegenheiten bin ich ganz für mich, genieße innere wie äußere Stille. Zum Teil vergesse ich dabei alles um mich herum irgendwie. Ohne mich zu verirren oder dergleichen, denn da ist eben doch irgendwie diese gewisse Vertrautheit. Und dann gibt es da noch diese Momente, in denen ich Musik höre.
Einen solchen Moment hatte ich in der letzten Woche. Nicht freiwillig, sondern notgedrungen musste ich auf jeden Fall noch an diesem Tag das Haus verlassen, um Dokumente abzugeben. Es war kalt, regnerisch und begann bereits zu dämmern. Also ziehe ich mich warm an, greife einen Schirm und überlege, wie ich am besten durch diese unangenehme Situation hindurch komme. Welche Musik jetzt gerade passt. Leider fällt mir nicht auf Anhieb etwas ein. Doch ich erinnere mich, dass eine der wohl bekanntesten Sängerinnen ihrer Zeit ein neues Album herausgebracht hat. Mit Liedern einer der erfolgreichsten Bands aller Zeiten. Von dem ich nicht viel Gutes gehört habe. Aber na klar, einfach gar nicht anhören geht nicht.
Es komme keine 100 Meter weit, bis die Situation mich packt und ich jeden meiner Schritte genieße. Triff mich, wie ich wie auf einem Catwalk performend durch Bergisch Gladbach laufe! Beim abendlichen Spaziergang höre ich Musik und beginne, mir bestimmte Gebäude, Plätze, Orte innerhalb der Stadt, in der ich nun schon seit mehr als fünf Jahren wohne, genauer anzusehen als vielleicht jemals zuvor. Und plötzlich entstehen Verbindungen. Ich weiß, diese Orte sind ganz unterschiedliche Teile meines Lebens. Erinnerungen werden wach. Nicht alle davon sind ausschließlich positiv besetzt, doch jede einzelne von ihnen macht mich aus. Aber dieses Bewusstsein macht etwas mit mir. Abschließen und Aufbrechen zugleich. Losgehen und Verweilen. Zurück blicken und voraus.
Mir wird bewusst, wie sehr ich mich doch auch hier Zuhause fühle. Und wie sehr nicht. Denn bei all diesen Empfindungen und Erinnerungen kommen die Emotionen, die dieser Ort in mir auslöst nicht heran an das, was ich an anderen Orten fühle. Die Verbindung ist stark, aber nicht so stark. Und ich weiß, wenn ich eines Tages einmal nicht mehr hier wohnen werde, kehre ich vielleicht niemals wieder zurück – und finde das vielleicht auch nicht mal schade. Damals, 2012, wollte ich weg aus Köln. Denn auch Köln hat Ecken, Eigenschaften und Erlebnisse, die ich nicht mag. Sogar sehr viel. Ich verstehe die Menschen in meinem Umfeld, die sagen, wie furchtbar und hässlich und anstrengend sie Köln finden (und davon gibt es einige). Denn mir geht es auch oft so. Aber das heißt eben nicht, dass ich diese Stadt nicht lieben kann. Im Gegenteil.
Die Liebe der Kölner zu ihrer Stadt ist wie die einer Mutter zu ihrem behinderten Kind.
Ich weiß nicht, wann und wo ich diesen zum ersten mal gelesen oder gehört habe, aber ich finde, treffender kann man nicht beschreiben, was die Verbindung ausmacht, die einfach da ist. Ich persönlich glaube, dass das aber nicht nur auf Köln zutrifft. Denn jeder Ort, jede Stadt hat ihre Tücken – und jede hat Gründe, sie zu lieben.
Eigentlich sollte dieser Beitrag ein kurzer, aber eindringlicher Appell werden dafür, Wohlgefühl, Heimatliebe und Verbundenheit zu Orten, Stellen, Städten zuzulassen und bewusst wahrzunehmen. Ob unterwegs zwischen meinen Gedanken und Emotionen etwas von der Eindringlichkeit übrig geblieben ist, weiß ich nicht, aber kurz ist er nun ganz sicher nicht. Und dabei dachte ich nur ganz kurz, für einen Sekundenbruchteil an einen Moment letzte Woche, in dem ich an einer ganz bestimmten Stelle am Rheinufer saß, den Blick schweifen ließ und wohl nachdenklich gewirkt haben muss. „Ich sagte doch, du sollst nicht so viel denken und mehr genießen.“ Ich musste lachen. „Ich denke gerade, wie schön es ist, dass ich diesen Moment so genieße!“
Die Orte, an denen ich lebe, prägen mich. Sie gehören zu mir und werden es immer. In meinen Erinnerungen, mit den Eindrücken, die sie bei mir hinterlassen haben und durch die Erfahrungen, die ich an und in ihnen gemacht habe. Und das liebe ich.
Ich mag nicht alles, was mich ausmacht. Ich mag nicht alles, was ich mache, schon gar nicht alles, was ich sage und überhaupt ganz viele Kleinigkeiten nicht. Aber das verschwindet aus dem Blickfeld, wenn ich einen Schritt zurück mache und das Gesamtbild betrachte. Ich mag mich.
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Eine Antwort
Ich liebe es auch, Erlebnisse und Lebensabschnitte fragmentartig revue passieren zu lassen und mir vorzustellen, dass das alles schon meinem Körper passiert ist und jetzt in ihm ist. 😀