Es ist wirklich nicht einfach, als politischer Mensch zu den meisten und größten politischen Themen seiner Zeit keine endgültige Stellung zu beziehen. Es sei denn, man ist Angela Merkel.
Irgendwie war es ja schon immer so, dass unsere Bundeskanzlerin zu wichtigen Themen lieber etwas zu lange als etwas zu kurz geschwiegen hat, um sich dann der Meinung der Mehrheit anzuschließen – oder das zu tun, was sowieso nicht mehr anders ging. Als Beispiel kann man hier die Energiewende anbringen, wenn ich alles aufzählen will wird der Text lang und -weilig.
Beim Thema Zuwanderung war das nicht anders. Seit ewigen Zeiten sind Politiker aus ganz Europa bemüht, eine vernünftige, gerechte und für alle EU-Staaten tragbare Lösung für Asylsuchende aus aller Welt zu finden. Aber Mutti konnte mochte sich halt nicht so recht entscheiden. Jetzt musste sie. Dass es für Merkel, anders als für einige andere deutsche Volksvertreter und solche, die sich dazu ernannt haben, keine Lösung ist, Menschen mit Gewalt aus Deutschland fern zu halten, spricht klar für sie. Dass sie, auch bei stärkstem Gegenwind aus nahezu allen anderen EU-Staaten, aus der eigenen Bevölkerung und sogar der eigenen Regierungskoalition eisern an ihrer Linie festhält, auch. Was nicht für Angela Merkel spricht, ist sie selbst.
Auch diesen Umstand kann man ihr durchaus zugute halten. Eine humanitäre Krise für die eigenen politischen Interessen nutzen, das machen andere. Aber eben (leider) mit wachsendem Erfolg, ohne dabei wirklich einen tragbaren Standpunkt, geschweige denn Argumente zu haben. Dass man die von ihren Anhängern und anderen wenig bis gar nicht denkenden Menschen in den Himmel gelobte AfD-Vorsitzende Frauke Petry mit sehr einfachen Argumenten in Grund und Boden reden kann, hat am Anfang dieser Woche in einer Livesendung beim TV-Sender Phoenix ausgerechnet Volker Beck bewiesen. (Nachzulesen u.a. auf stern.de im Kommentar von Herausgeber Andreas Petzold.) Ausgerechnet? Ja, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Als offen schwuler Mann, der neben der rhetorischen auch notfalls die gewaltsame Auseinandersetzung nicht scheut, aber eben nicht um Grenzen zu schließen, sondern zu öffnen, sich dafür auch verhaften lässt und damit so ungefähr das Gegenteil dessen verkörpert, was die AfD in ihrem Parteiprogramm als echten, gesetzestreuen, deutschen Mann deklariert. Quasi das personifizierte Feindbild. Noch dazu ist Volker Beck Grüner. Mitglied der nach Sitzen im Bundestag kleinsten Oppositionspartei. Und in dieser aktuell nicht einmal in vorderster Reihe. Aber er scheut eben die Auseinandersetzung mit der AfD-Führung nicht. Vielleicht, weil sie gar keine ist. Es braucht nicht viel mehr, als ein bisschen gesunden Menschenverstand gepaart mit Kenntnissen über das Grundgesetz, die man auch von einer Bundeskanzlerin oder sämtlichen Ministern ihres Kabinetts getrost erwarten darf.
Warum also ist scheint es so schwierig zu sein, sich einer solchen Debatte Begegnung zu stellen? Wo ist eigentlich Sigmar Gabriel, der sonst auch zu fast allem ungefragt etwas zu sagen hat? In der gesamten Riege der Regierungsparteien, scheint einzig Horst Seehofer den Schneid dafür zu haben. Freilich, dieser hält es natürlich gar nicht für nötig, der AfD zu widersprechen. Was die laut aussprechen, muss er nicht sagen! Doch die mächtigste Politikerin der Welt tut in der Öffentlichkeit weiterhin nicht viel mehr, als konsequent auf ihrer Linie zu beharren, zu wiederholen, dass dies der einzige Weg ist, und dass wir, als Deutschland, es schaffen, ihn zu gehen. Aber sie erklärt nicht, warum das ihrer Meinung nach so ist! Sie entkräftet die Stammtischparolen der AfD nicht mit Argumenten, hält rechtspopulistischen Hetzereien nicht den Spiegel vor und gibt die Vertreter dieser halbgaren Forderungen schon gar nicht der Lächerlichkeit preis. Dabei wäre das doch so einfach.
Das Merkel das schmutzige Geschäft der Politik beherrscht hat sie mehr als einmal eindrucksvoll bewiesen. Insbesondere bei den eigenen Leuten kennt und kannte sie wenig Mitleid. Wie viele durchaus nicht unfähige Politiker der CDU hat sie auf Linie gebracht oder schlichtweg entsorgt! Vielleicht ist das auch jetzt ihre These: So lange warten, bis sich die AfD ganz von selbst der Lächerlichkeit preisgibt. Doch hat sie das nicht schon längst? Vielleicht wird es einfach nur dringend Zeit, dass Merkel der Partei, die aus Deutschland eine alternative Parallelwelt schaffen will, ihr Vertrauen ausspricht? So oder so, will sie ihre mühevoll aufgebaute politische Macht nicht an eine Gruppierung verlieren, die nichts anderes im Sinn hat, als sich am Leid und an Krisen anderer persönlich zu bereichern, muss die Bundeskanzlerin aufwachen. Und mit ihr das gesamte Kabinett. Streitsüchtig und -fähig genug sind alle davon, was sie in beinahe täglich neuen Querelen untereinander immer wieder beweisen. Wann findet endlich jemand den Mut zu Erklärungen, die die Bevölkerung versteht? Denn nichts anderes ist nötig. Viele Menschen in unserem Land verstehen die Situation nicht, die uns gerade erreicht. Sie kennen weder die Gründe, noch die Konsequenzen dessen, was wir nun tun, oder nicht tun. Eine Erklärung für das alles bietet ihnen die Alternative für Deutschland. Und solange ihnen niemand eine andere bietet, eine, zu der die AfD die selbst ernannte Alternative sein soll, bleibt den Menschen, die nicht fähig oder nicht willens sind, sich fundiert mit den Belangen der deutschen Politik auseinanderzusetzen, gar nichts anderes übrig, als der einzigen Erklärung zu glauben, die sie bekommen. Insofern kann Merkel von der AfD einiges lernen: Sie ist der beste Beweis dafür, dass man mit einfachen Erklärungen durchaus Anhänger für sich gewinnen kann!
Dass diese Taktik funktionieren kann, hat auch Volker Beck am Anfang der Woche gezeigt. Es ist ein Anfang. Jetzt wird es Zeit, dass auch andere aufwachen. Auch Sie, Frau Merkel! Denn es steht eben noch mehr auf dem Spiel, als die Macht von Parteien oder die Frage, mit wem die CDU nach der nächsten Bundestagswahl koalieren wird. Mehr, als die politische Macht einzelner Personen.
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