Ich war schon immer Teil einer großen Familie. Das kenne ich zeitlebens nicht anders. Aber was bedeutet Familie eigentlich?
Beitragsbild: Ohana heißt Familie

Vor knapp zwei Wochen bin ich Onkel geworden. Bereits zum vierten Mal.
Abgesehen von der großen Freude darüber, dass Mutter und Kind wohlauf sind und unsere ohnehin schon große Familie wieder um ein weiteres Mitglied gewachsen ist, veranlasste mich das, einmal genauer darüber nachzudenken, was Familie eigentlich für mich bedeutet.

Ohne meine Familie wäre ich nicht hier.

Es klingt immer lapidar, irgendwie ein bisschen aufgesagt und in gewisser Hinsicht auch einfach logisch, wenn man das sagt. In meinem Fall stimmt das auf vielen verschiedenen Ebenen. Ganz einfach war es zum Beispiel meine Familie, die mich dazu brachte, dieses Blog zu beginnen. Um sie an meinen Erlebnissen und Erfahrungen teilhaben zu lassen, nachdem die räumliche Entfernung zwischen uns wuchs. Doch das ist natürlich nicht alles.

Obwohl ich längst ausgezogen war, als mit dem Blog begann und inzwischen einen Umzug, eine Hochzeit und einen Studienabschluss später (von zahlreichen anderen Herausforderungen gar nicht erst angefangen) war meine Familie doch immer ein Halt, auf den ich mich verlassen konnte. Wenn es Schwierigkeiten gab und gibt, die ich allein oder auch mit Familienmitgliedern habe, dann ist jemand anderes da, der einspringt, um sie zu lösen. Bei Meinungsverschiedenheiten mit Mama ist Opa zur Stelle, bei Diskussionen mit Oma springt Papa ein und bei Problemen zwischen Geschwistern sind die anderen für beide da. Das funktioniert nicht immer so, aber immer wieder. Dabei hilft natürlich, dass wir so viele sind (inzwischen fast 30) und uns die Möglichkeiten nicht ausgehen.

Familie bleibt

Wann immer ich an bestimmten Stellen nicht weiter weiß, mir unsicher bin, ob eine zu treffende Entscheidung die richtige ist oder ganz einfach nur jemanden brauche, dem ich meine Erlebnisse erzählen kann, der nicht dabei war, kann ich mich an Mitglieder meiner Familie wenden. Meine Bindung zu meinen Eltern ist besonders und auch insbesondere für mein Alter wahrscheinlich besonders intensiv. Zu viel haben wir erlebt und vor allem gemeinsam bewältigt, als das ich mir etwas vorstellen könnte, dass sich daran noch einmal dauerhaft etwas ändert. Ähnliches gilt auf ganz andere Weise für meine Geschwister. Ich glaube nicht, dass unter unseren Umständen viele Familien so gut „funktionieren“, wie das bei uns der Fall ist. Und dafür bin ich dankbar.

Doch eine interessierte, neugierige und sorgende Familie ist nicht immer nur eine Erleichterung. Aus unterschiedlichen Ansichten entstehen Konflikte, aus unterschiedlichen Lebensmodellen und Vorgehensweisen sogar dauerhafte Spalten, die zwar niemals dieses Gefühl von Familie nehmen können, aber dennoch andere Tragweite haben, als im Bekanntenkreis. Meine Freunde und Bekannten wähle ich schließlich. Und stellt man fest, dass sich Modelle auseinander entwickeln ist das unglaublich schade und oft auch sehr schmerzhaft. Familie ist und bleibt Familie. Ich kann den Kontakt einstellen, im dauerhaften Streit miteinander sein und enterbt werden. Aber ob man will oder nicht: Familie ist und bleibt Familie.

Fluch und Segen

Schon oft habe ich regelrecht gestritten, mit meinen Eltern, aber auch anderen Familienmitgliedern; auf großen und kleineren Familienfeiern, an der Kaffeetafel bei Oma und Opa oder auf große Entfernungen am Telefon. Oft sind dabei die wirklich großen Themen Auslöser: Politik, Geschichte, Gesellschaft und – natürlich unvermeidlich – Fußball. Doch manchmal sind es auch ganz kleine, persönliche Dinge. Eine Frisur, ein Lieblingslied, ein neues Kleidungsstück oder der Espresso nach dem Abendessen. Ganz banale Dinge eben. Doch es gab eine Zeit, in der ich bei fast jedem solcher banalen Dinge zunächst überlegt habe, wie bestimmte Familienmitglieder wohl reagieren werden, wenn ich sie so oder so entscheide und umsetze. Nicht, weil mir jemals etwas Böses wollte. Aber weil eine Familie, die wirklich für mich da ist, eben auch kritisch nachfragt, um sicherzugehen, dass ich mich wohl fühle.

Und so führe ich manche Diskussion, gehe teilweise auch ganz bewusst und konfrontativ in manche Auseinandersetzung und leide hin und wieder unter Ereignissen, Aussagen, Ergebnissen. Manchmal heimlich, manchmal erzähle ich Freunden davon, manchmal Teilen der Familie. Weil eben für alle Familienmitglieder gilt, dass sie einander nicht wählen, aber eben immer Familie bleiben. Und in meiner Familie bedeutet das, füreinander da zu sein. Unter Geschwistern, Cousins und Cousinen, Nichten und Neffen, Onkeln, Tanten, Eltern, Großeltern. Kreuz und quer durch alle Generationen. Ganz besonders Oma ist stolz auf dieses Lebenswerk und es treibt mir – wieder einmal – die Tränen in die Augen, wenn ich nur daran denke, wie sehr.

Lebenswerk Familie

Trotz aller Schwierigkeiten hatte ich niemals das Gefühl, in meiner Familie nicht sein zu können oder kein Teil davon zu sein. Auch wann immer ich jemanden mitbrachte wusste ich, dass nichts zu befürchten war. Und das ist nicht nur ein Gefühl. Vor einigen Wochen sprach ich ganz konkret mit meinen Großeltern über verschiedene Lebensmodelle, Beziehungen zwischen mehr als zwei Personen, unterschiedliche Gender-Identitäten und wie es wohl wäre, wenn so etwas oder jemand auch Teil unserer Familie wäre. Dass sie aus voller Überzeugung sagten, dass das für sie keine Rolle spiele, solange alle glücklich sind, ist für mich gleichermaßen unglaublich wie erwartbar. Schließlich ist in unserer Familie ein Mann mit einem Mann verheiratet und eine Frau heiratet demnächst eine andere. Und das ist für meine Großeltern genau das, was es auch wirklich ist: Die normalste Sache der Welt.

Dieses Bewusstsein gibt Sicherheit. In erster Linie für mich selbst und meine Lebenseinstellung. Aber es kann auch wiederum ein wenig verunsichern. Nicht alle, die zum ersten Mal auf die Familie eines Freundes oder Partners treffen, rechnen damit, sofort voll integriert zu werden, Nachfragen zu ihrem Leben zu erfahren und durchaus auch kritisches Feedback zu bekommen. Und nicht alle finden das gut. Für mich bedeutet es, dass wirklich alle, die in diese Familie kommen, auch dazu gehören – und eben auch ich, so wie ich bin, unverzichtbarer Teil von ihr bin. Ich weiß, dass es vielen Menschen nicht so geht – auch aus eigener Erfahrung in meinem direkten Umfeld. Deshalb bin ich unglaublich dankbar dafür, dass meine Familie genau so ist, wie sie ist. Neugierig, kritisch, kontrovers und mir manches Mal den letzten Nerv raubend. Doch das hat mich geprägt für’s Leben. Und tut es heute noch. Jeden Tag.

Share on facebook
Facebook
Share on twitter
Twitter
Share on linkedin
LinkedIn
Share on xing
XING
Share on pinterest
Pinterest
Share on whatsapp
WhatsApp
Share on email
Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on xing
Share on pinterest
Share on whatsapp
Share on email

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Auch spannend: