Ich trenne mich! Ganz offiziell und ohne Wiederkehr. Und es ist ein tolles Gefühl! Nein, nicht auf die Art, an die man jetzt vermutlich als erstes denkt. Wobei – vielleicht auch irgendwie ein bisschen. Aber der Reihe nach!
Im Laufe der letzten Woche war ich nicht nur bereits zum zweiten Mal im letzten Monat ausgiebig shoppen, sondern pflügte auch durch meinen Kleiderschrank, auf der Suche nach alten Schätzen, Erinnerungen und vor allem Kleidungsstücken, die ich vielleicht mag, mit denen ich vieles verbinde, aber die ich eben dennoch suchen muss, ergo: die ich nicht mehr anziehe. In Anbetracht der Tatsache, dass es Leute gibt die meinen Kleidungsstil mit: „Du nimmst wahrscheinlich einfach irgendwas aus dem Schrank was gerade da ist.“ und „Ich hätte nicht gedacht, dass du dir besonders viele Gedanken darüber machst, was du heute anziehst.“ beschreiben, kam da ein ganz schöner Berg an Kleidung zusammen. Und weil diese Einschätzungen eben falsch sind, hat jedes einzelne Teil seine eigene Geschichte. Ich verbinde eine bestimmte Erinnerung mit einem Pullover, weiß genau, woher ich diese Hose habe und denke gerne zurück an die Zeit, in der ich das Shirt eigentlich immer trug, wenn es nicht in der Wäsche war. Hat nicht jeder solche Kleidungs- und Erinnerungsstücke?

Für mich ist es jedes Mal, wenn ich meinen Schrank ausmiste, ein harter Kampf, vor allem gegen mich selbst. Denn ich hänge an Erinnerungen. Und insbesondere, wenn Kleidungsstücke völlig unmodern, verwaschen oder fleckig sind, sie also garantiert niemand mehr anziehen oder mir gar abkaufen würde, kann ich mich nur schwer davon trennen. Erinnerungen auf den Müll werfen schmerzt. Aber es befreit eben auch. Und ich finde beileibe nicht nur diese alten Schätze, die nur noch einen emotionalen Wert haben. Vieles von dem, das ich nicht (oder nicht mehr) trage, ist einfach nicht (mehr) mein Stil, hat nicht meine Größe (und hatte sie vielleicht auch nie) oder sitzt ganz einfach nicht mehr richtig. Wenn so eine Gesundheits-Challenge funktioniert, bringt sie eben weit mehr Opfer mit sich, als für Salat auf Fastfood zu verzichten. Aber ich merke auch, wie mit der Entscheidung, mich von diesen Sachen zu trennen, ein Teil von mir mit auf diesem Berg an Kleidung landet. Einer, den ich eben auch loswerden möchte. Auch meine Challenge trat ich ja nicht an, weil alles wunderbar zufriedenstellend war. Ich wollte Veränderung. Ich will Veränderung. Und Veränderung bedeutet eben immer auch, einen Teil von sich selbst zurück zu lassen. An dieser Stelle stehen meine vielen alten Kleidungsstücke dann auch symbolisch für Zeiten, die schön waren, gut waren und erfüllt, aber in der Vergangenheit liegen. Beim Shopping stehe ich in fast jedem Laden, denke darüber nach, ob ich ein bestimmtes Teil nicht schon so oder so ähnlich auch zuhause im Schrank habe. Und dann, wann ich es zuletzt an hatte. Und dann, dass ich unbedingt altes loswerden muss um Platz für neues zu schaffen.

Und dieser Grundsatz lässt sich dann eben auch auf das gesamte Leben übertragen. Man kann nicht ständig etwas neues beginnen, ohne mit Angefangenem abzuschließen. Um Raum für neue Ideen zu schaffen, muss man sich von alten Vorhaben trennen. Manchmal auch, obwohl man sie nicht so abschließen und vollenden konnte, wie man es vielleicht einmal vorhatte. Manchmal muss man Kleidung auch dann weggeben, wenn man sie eigentlich gern noch eine halbe Ewigkeit weiter tragen würde. Eben weil man genau weiß, dass man es ja doch nicht tun wird.
Darum wird es also wieder einmal Zeit für mich, zu kreiseln. Wer dieses Blog schon länger verfolgt, erinnert sich vielleicht an einen früheren Beitrag über den Kreislauf der Kleider oder kennt den Link in der Seitenleiste. Ich freue mich jedenfalls schon jetzt darauf, meine Kleidung zusammen mit meinen Erinnerungen auf die Reise zu schicken, damit sie bei neuen Besitzern neue Geschichten erleben und ein Teil von neuen Erinnerungen werden. (Wer neugierig ist, darf natürlich gern mal reinschauen!)

So geschehen auch mit einigen Kleidungsstücken, die gar nicht erst den Weg ins große weite Netz fanden. „Der Pullover ist voll schön, den mag ich“ hieß es vorgestern beim Ausmisten. Und schon wechselte ein Kleidungsstück seinen Besitzer und ich kann mich jedes Mal wieder aufs neue freuen, wenn ich es nun an einem Menschen sehe, den ich mag und mit dem mich nun noch ein wenig mehr verbindet. Spannend daran ist vor allem, das gerade dieser Pullover selbst einer ist, der vor einer Weile zu mir kreiselte. So sammeln Kleidungsstücke Charakter und Geschichte und werden viel mehr als einfach nur ein Stück Stoff, dass wir tragen, um uns zu wärmen oder unsere Haut zu bedecken. In den nächsten Tagen werde ich noch einige weitere dieser Stücke verschenken, verteilen – und sogar versteigern. Nicht für Geld, sondern an Menschen, die mir den kreativsten, lustigsten oder ganz einfach schönsten Grund nennen, warum gerade sie geeignet dafür sind, die Geschichte weiter zu erzählen. Dinge, die mir zu schade sind, um sie an fremde Menschen und für schnödes Geld weiter zu geben. Der Pullover aus der Band-Fanzeit, der gerade nach dem Tod des Frontmanns einen großen emotionalen Wert hat, aber den ich schlicht seit Ewigkeiten nicht mehr anziehe. Das Hemd, mit dem ich schon auf Bühnen stand, das aber für die Optik ganz bewusst viel zu groß sein musste, mir also absolut nicht passt. Die Hinterlassenschaft, die noch verpackt und gerade neu gekauft im Schrank landete, als der vorgesehen Träger die Möglichkeit verlor, sie je zu tragen.

Man sieht, ich könnte wirklich zu jedem dieser Stücke eine Geschichte erzählen. Doch jede Geschichte, die man mit sich herumträgt, statt sie in die Welt hinaus zu tragen, ist auch Ballast, der einen beim Erleben neuer Geschichten hinderlich ist. Hin und wieder ist eine Trennung einfach eine Befreiung. Ganz gleich, auf welcher Ebene sie vollzogen wird.

7 Antworten

  1. Wie wahr, vielleicht finde ich Dank des Artikels die Zeit und den Mut mich von so einigen Kleidungsstücken aber auch anderen Dingen zu trennen. Auch bei mir wäre es dringend an der Zeit.

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